Freitagabend. Meine beste Freundin und ich lagen wie jedes Wochenende auf ihrer Couch vor dem Fernseher. Wir assen Chips und Gummibärchen, die noch im Küchenschrank übrig geblieben waren, und schauten gelangweilt MTV.
Ab und zu schaute ich kurz auf mein Handy, da ich noch einen Anruf erwartete. Bis jetzt war mein Handy aber noch still geblieben.
Während irgendeine unnötige, amerikanische Teenie-Show lief, starrte ich zur Decke.
Ich war mit meinen Gedanken weit weg, überlegte mir, wie lange die ganze Geschichte mit Til noch laufen sollte. Til war ein Typ, der sechs Jahre älter war als ich, also 25. Ich lernte ihn vor einigen Monaten kennen und fand ihn schon damals etwas komisch, kam aber trotzdem gut aus mit ihm – anfangs. Unsere Beziehung war merkwürdig. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, gingen dauernd zusammen auf Partys und unternahmen Dinge zusammen. Ich wusste, dass er und seine Freunde ab und zu Drogen nahmen, hielt mich aber von der ganzen Sache fern. Irgendwann begann er Druck zu machen, ich solle mir doch auch mal was schmeissen oder spritzen. Irgendwann gab ich diesem Druck nach und rutschte in ein schwarzes Loch hinein. Ab und zu erledigte ich Lieferaufträge für Til und seine Freunde, das heisst, ich ging auf Partys und vertickte dort Drogen. Meistens LSD, Gras oder Ecstasy-Pillen.
Heute Abend lief eine Party in einer Waldhütte und ich musste zur Verfügung stehen, falls jemand was brauchte. Der Typ, der die Party schmiss, ging zur selben Schule wie ich und musste wahrscheinlich mitbekommen haben, dass ich verschiedene Drogen verkaufe, oder Til hatte von der Party erfahren und dem Typen angeboten, die Party etwas aufzupeppen.
Um 21:30 bekam ich einen Anruf. Man erwarte mich um etwa 22:00 in der Waldhütte.
Ich verliess die Wohnung meiner Freundin, machte kurz noch einen Abstecher nach Hause, packte meine Tasche mit den wichtigsten Dingen, holte noch eine wärmere Jacke und machte mich dann mit meinem Fahrrad auf den Weg.
Die Sonne ging langsam unter und die Felder wurden rotorange angeleuchtet. Es roch nach frisch gemähtem Gras und die frische Luft tat mir gut. Der Weg zur Waldhütte war nicht lang, dafür aber anstrengend, sodass ich nach zehn Minuten von meinem Rad absteigen musste und ich es bis zur Waldhütte noch stossen musste. Meine Gedanken drifteten wieder zu Til, meinem Freund. Ich wusste, dass mir diese Leute nicht gut taten, dass sie mich sowieso nicht ernst nahmen und dass ich in ihren Augen nur die „Lieferantin“ war. Ich merkte auch immer mehr, wie ich den Anschluss zu meinen alten Freunden verlor und wie ich in der Schule immer schlechter wurde. An die meisten Wochenenden konnte ich mich gar nicht mehr richtig erinnern, da ich ständig auf Ecstasy war. Alles schien mir wie in einem Traum, so verschwommen. Mein Leben rutschte langsam aber sicher den Berg runter.
„Heute wird das letzte Mal sein, dass ich jemals Drogen verkaufen werde“, dieses Versprechen machte ich mir selber, während ich die Waldhütte betrat. In der Waldhütte wimmelte es von Menschen die zur selben Schule gingen wie ich. Einige betrunken, andere high oder sonst was. Ich drückte mich durch die Menge und versuchte Jan, den Veranstalter der Party, zu finden. Ich wurde einige Male angerempelt, und dumm angeschaut, wahrscheinlich, weil niemand mit mir gerechnet hatte.
Ich holte mir noch einen Shot an der Bar. Am Boden lag zerbrochenes Glas rum und ich fragte mich, wie betrunken die Person wohl war, die das Glas fallen gelassen hatte.
Ich sah Jan auf der anderen Seite des Raumes und ging auf ihn zu. „Hey Julie“, rief er mir etwas angetrunken zu, „cool, dass du’s geschafft hast!“ Wir unterhielten uns, jedoch verlor ich schnell Interesse an der Konversation und ging wieder aus der Waldhütte raus. Draussen war es etwas kühler geworden und es roch nach Lagerfeuer. Ich zündete mir eine Zigarette an und beobachtete die Leute wie sie tanzten, lachten und sich miteinander unterhielten. Ich musste wieder an Til denken und wünschte mir, er wäre auch hier mit mir. Ich hasste es, alleine auf Partys zu gehen und den Leuten Drogen anzubieten.
Vor der Tür hielt mich das Mädchen zurück. Es war das erste Mal, dass ich sie richtig und in gutem Licht sah. Sie hatte braune Haare, eine zu kleine Nase und wenn sie lächelte zeigte sich ein perfektes Zahnspangengebiss. Sie war genau Jans Typ. Willst du mal was Härteres probieren?», fragte sie mich, nachdem wir uns gründlich gemustert hatten.
«Lara. Was hast du denn dabei?» Eigentlich wollte ich sowieso nichts. Aber ich mochte sie irgendwie. Und unter ‘etwas Härterem’ konnte man sehr vieles verstehen.
«LSD», antwortete sie. «Keine Angst, das macht nicht gleich abhängig, physisch sowieso nicht.» Das hatte ich nicht gewusst. Wollte sie mir das nur aufschwatzen? Nein, sie war nicht der Typ dazu. «Komm schon!», forderte sie mich auf. «Ich verlange auch nichts dafür. Ist echt geil!»
«Ich überleg es mir noch.»
Sollte ich es nehmen oder nicht? Ich habe es noch nie ausprobiert und hier, wo sowieso jemand auf mich aufpassen würde, wäre es wohl nicht zu gefährlich. Aber ich wusste auch nicht, ob das, was Julie gesagt hatte, wirklich stimmte. Machte es wirklich nicht abhängig?
«Weshalb so in Gedanken versunken?» Jan erschreckte mich schon zum zweiten Mal diesen Abend. «Musst du dich immer so unauffällig anschleichen!» fuhr ich ihn an. Ich werde immer wütend, wenn ich erschreckt werde, aber Jan weiss das. «Ganz ruhig», sagte er nur beiläufig. «Hast du Mario schon gesehen?»
«Nein. Aber ich bin auch nicht wirklich scharf drauf, ehrlich gesagt.»
«Ah, gut. Er hat nämlich was mit Meli.»
«Was?!»
«Ich hab’ gedacht, es kümmert dich nicht mehr?», fragt Jan unschuldig.
«Ich hab’ dir auch nicht gesagt, dass du’s mir so unter die Nase reiben musst! Wo ist er denn jetzt?» Ich schaute mich um. Hinten in die Ecke gedrängt stand Mario und ich merkte nur an den Bewegungen, die er machte, dass noch jemand hinter ihm verborgen sein musste. Schnell schaute ich weg.
«Hast du Julie gesehen?», fragte ich Jan, der noch nicht auf die Frage zuvor geantwortet hatte.
«Nein, tut mir leid.»
«Okay…» murmelte ich und ging zurück zum Tequila. Ich hatte Julie bereits selbst entdeckt.
«Du hast gesagt, das Zeug macht nicht abhängig, oder?», fragte ich sie sofort, als ich neben ihr stand.
«Nein. Willst du davon?», fragte sie. Ich sah noch einmal zu Mario und der immer noch nicht sichtbaren Meli hinüber.
Nur noch heute“, wiederholte ich noch einige Male in meinen Gedanken und ging dann auf ein Mädchen zu, das etwa gleich alt war wie ich. Sie stand neben einigen der Mädels und spielte Bierpong. Sie fragten mich, ob ich auch mitmachen wolle und ich liess mich auf das Spiel ein.
Nach einigen Runden gingen wir wieder hinein. Ich hielt das Mädchen zurück und stellte mich vor, fragte, wer sie sei und fügte dann noch gelassen hinzu: „Willst du mal was Härteres probieren?“ Sie hiess Lara und schaute mich etwas verwundert an. Vielleicht dachte sie, ich wolle sie auf den Arm nehmen. Sie fragte mich was ich genau damit meinte: „LSD, keine Angst, dass macht nicht gleich abhängig, physisch sowieso nicht.“ Sie überlegte einen Augenblick. Ich versuchte sie zu überreden und fügte noch hinzu: „Komm schon! Ich verlange auch nichts dafür. Ist echt geil!“ Ich lächelte sie an und versuchte so ihr die Unsicherheit wegzunehmen. „Ich überlege es mir noch“, sagte sie. Ich sagte ihr, sie solle mich aufsuchen, falls sie sich doch dafür entscheiden sollte und ging dann Richtung Toilette. Als ich mir die Hände wusch, studierte ich mein Gesicht im Spiegel. Meine langen braunen Haare waren etwas zerzaust vom Wind und Regen. Unter meinem Concealer schauten schwarze Ringe hervor und allgemein sah ich fix und fertig aus. „Was mach ich überhaupt hier?“, murmelte ich vor mich hin
. Ich wollte nach Hause, aber machte noch kurz Halt an der Bar. Ich gönnte mir nochmals einen Tequilla Shot, obwohl mir von Tequilla immer schlecht wurde. Plötzlich stand Lara wieder neben mir: „Du hast gesagt, das Zeug macht nicht abhängig oder?“ – „Nein, willst du davon?“ – „Okay.“
Ich gab ihr nur eine kleine Dosis, da ich annahm, dass sie zuvor noch nie LSD eingenommen hatte. Ich wollte nicht, dass ihr etwas passierte und dass es dann schlussendlich meine Schuld gewesen wäre. Wir gingen nach draussen und ich entschied mich, auch etwas zu schlucken. Lara war echt nett, genau mein Freundestyp. Wir redeten über Musik und sie fragte mich, wie es dazu kam, dass ich Drogen verkaufte. Ich gab ihr eine eher knappe Antwort und sie fragte nicht weiter, worüber ich sehr dankbar war.
Nach etwa 30 Minuten begann die Mikro-Tablette zu wirken. Ich verlor das Zeit- und Raumgefühl und hatte das Gefühl, mein Geist würde sich von meinem Körper loslösen. Ich fühlte mich so schwerlos und legte mich auf die Wiese. Sie war kalt und nass, aber es war mir egal, ich schien es gar nicht richtig wahrzunehmen. Ich schloss meine Augen und sah verschieden kaleidoskopische Formen, alles war so farbig, so schön. Ich hörte von weit her Musik, konnte aber nicht richtig einordnen, von wo die Klänge kamen. Lara war die ganze Zeit bei mir, doch nun hatte ich sie verloren. Ich wusste nicht, ob sie nach Hause gegangen war oder ob sie sich vielleicht im Wald verirrt hatte. Vielleicht war ihr auch einfach nur schlecht geworden und sie musste sich übergeben. So ging es mir nämlich auch beim ersten Mal, als ich LSD einnahm.
Ich weiss nicht, wie lange ich dort auf der Wiese lag, irgendwann war ich aber vom Regen und der nassen Wiese so durchnässt, dass ich mich entschied, ans Lagerfeuer zu gehen. Ich versuchte aufzustehen, was sich anfühlte wie eine halbe Ewigkeit, und taumelte dann langsam den Weg hinunter zur Waldhütte.
Die Stimmung hatte sich geändert, alle waren gereizt und wütend. Hatte es eine Schlägerei gegeben? Ich suchte Lara überall, doch ich konnte sie immer noch nicht finden.
Plötzlich kam Jan aus dem Nichts auf mich zu und packte mich viel zu fest am Arm und riss mich zur Seite. „Spinnst du eigentlich, Lara Drogen zu geben? Bist du selber gerade auf Drogen?! Deine Pupillen sind viel zu gross – du solltest gehen! Die Bullen waren hier!“ Ich war verwirrt und wütend. Er wollte doch, dass an seiner Party Drogen verkauft wurden?! Wütend löste ich mich von ihm und holte meine Tasche.
Es wurde langsam hell und ich suchte mein Fahrrad. Es war an einen Baum angelehnt und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, es dort hingestellt zu haben. Die Wolken waren vorbeigezogen und langsam ging die Sonne wieder auf. Es muss etwa halb sechs gewesen sein. Ich nahm mein Fahrrad, hängte meine Tasche an den Lenker und lief langsam den Hügel hinunter.
Autorin: Nathalie