Der Regen fiel bereits in Strömen, als Hannes mühsam schnaufend die Lichter der Hütte auf der Kuppe des Hügels erblickte. Sein Haar klebte ihm durchnässt auf der Stirn, die Wassertropften perlten von seiner schwarzen Lederjacke, während er sich gegen den Wind stemmend die letzten paar Meter den Weg hinaufkämpfte. Wenn sein Wagen nicht auf halber Strecke zusammengesackt wäre, dann würde er jetzt schon seit einigen Stunden trocken und behaglich in der Hütte dort sitzen. Aber nein, natürlich musste die Benzinleitung reissen, sodass er nun zu Fuss den Rest des Weges hatte zurücklegen müssen. Der Mechaniker, der seinen Wagen mit dem Schlepper abtransportiert hatte, hatte bloss den Kopf geschüttelt, der Motor sei nun vollkommen ausgebrannt, und Hannes war sich sicher, dass sein Handy auch etwas abbekommen hatte, denn es war ihm nicht möglich gewesen, Jan zu erreichen. So hatte er sich widerwillig zu Fuss auf den Weg gemacht, und war nun, mit noch grösserer Verspätung, als er sowieso schon gehabt hätte, doch noch zur Waldhütte gekommen. Die Lichter schienen ihm in der Dunkelheit wie ein Leuchtfeuer, warm und vielversprechend schienen sie ihm entgegen, und er konnte es kaum erwarten, endlich zurück ins Trockene zu kommen. Seine Augen suchten die Umgebung des Hauses ab. Keine Menschenseele war zu sehen.
«Bestimmt sitzen die alle drinnen im Trockenen, tanzend, rauchend, trinkend, und das alles ohne mich» Endlich war er bis auf 10 Meter Entfernung an die Waldhütte gekommen. Die Musik dröhnte dumpf aus der Hütte, er konnte Gelächter und Stimmen hören. Durch die Fenster drang das Licht heraus, beleuchtete etliche Gläser, Zigarettenstummel und Plastikfetzen… Eine Spritze war auch dabei. Die Reste eines Feuers glühten noch in der Dunkelheit, die Kohlen funkelten wie die Augen eines Raubtieres. «Keiner mehr draussen…», murmelte Hannes. Er ging die drei Stufen, die auf die Veranda der Hütte führten, hoch, und griff nach der Klinke. «Viel zu spät, völlig durchnässt vom Regen und verschwitzt… Sie werden mich lieben!», dachte er grinsend. Er wollte gerade eintreten, als er eine erregte Stimme gedämpft durch die Tür hindurch vernahm. Er trat zurück, gerade rechtzeitig, dann wurde die Tür aufgestossen und ein bulliger Junge stapfte in den Regen hinaus, er zog ein Mädchen hinter sich her, und zog sie mit sich in den Wald. Hannes ignorierte er dabei.
«Du weisst genau, warum ich wütend bin!», schnauzte der Junge das Mädchen an, während sie weiter in den Wald gingen. Hannes folgte den zweien. Er wusste nicht genau, wieso er das tat, vielleicht war es der Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens, das ihn dazu trieb. «Ich weiss du magst sie nicht, aber…», entgegnete sie ihm. «NICHT MÖGEN? SIE IST EINE VERDAMMTE DROGENDEALERIN!» Hannes zuckte zusammen, das Mädchen schien zu schrumpfen. «Sie… sie ist meine Freundin…», hauchte sie. Er hob die Hand und liess sie auf ihr Gesicht niederfahren. Sie ging zu Boden, und Hannes war sich sicher, dass der Junge sturzbetrunken war. «Ich habe genug von ihr! Sie zerstört dein Leben!» Das Mädchen wollte sich wieder aufrichten, sackte aber in sich zusammen. «Nie machst du, was ich dir sage, Kate…», sagte der Junge, während er sie umkreiste, sie zitterte, wehrlos am Boden liegend, ihre einst schöne Partykleidung nun dreckig und durchnässt, der Regen fiel immer noch in Strömen und drang inzwischen sogar durch Hannes’ Jacke.
«Sieht so aus, als müsste ich dir wiedermal eine Lektion erteilen», seufzte der Junge und holte zum nächsten Schlag aus. «Hey!» Hannes hatte den Zorn gepackt, er war aus den Schatten zwischen den Bäumen hervorgetreten und hatte die erhobene Hand des Jungen gepackt, welche er nun mit eiserner Kraft festhielt. «Du lässt sie jetzt besser ihn Ruhe!» «Wer bist’n du?», fragte der Junge verdutzt. «Verschwinde und lass mich und meine Freundin in Ruhe, du Bastard» «Das, mein Lieber, war nicht sehr nett.» Mit einer schnellen Bewegung schlug Hannes dem Jungen in die Beine, dieser fiel kreischend zu Boden. Hannes wandte sich dem Mädchen zu, da sprang der Junge ihn von hinten an und legte den Arm um seinen Hals. «Der ist verdammt stark!», dachte Hannes, sein Hirn raste, er holte mit seinem Ellbogen aus, schlug damit in die Magengrube seines Gegners, wieder und wieder, bis dieser ihn losliess und er sich drehen konnte, um ihm die Faust unters Kinn zu rammen. Der Junge taumelte zurück, dann brüllte er, ein Messer blitze auf und er rammte es in Hannes rechten Oberarm, dieser taumelte vor Schmerzen schreiend zurück, der Junge folgte ihm und warf ihn zu Boden, dann schlug er mit beiden Händen auf Hannes’ Gesicht ein. Er spürte, wie seine Nase brach, sein rechter Arm war taub, das Messer lag am Boden, zu weit entfernt, um es fassen zu können.
«Na, genug?», keuchte der Junge schliesslich, als Hannes Gesicht nur noch blutverschmiert war und er schwer atmend dalag. «Leg dich nicht mit mir an!»
«Du hast Regel Nummer eins vergessen… Stell sicher, dass sich dein Opfer nicht mehr bewegen kann!»
Mit letzter Kraft donnerte Hannes seine linke Hand gegen die Schläfe des Jungen, der zweimal blinzelte, dann kippte er von Hannes weg auf die Seite. Er rührte sich nicht mehr. Hannes rappelte sich auf, sein rechter Arm hing blutend an seiner Seite, seine gebrochene Nase pulsierte schmerzhaft im Takt mit seinem Herzen. Er schleppte sich hinüber zu dem Mädchen, welches immer noch zitterte, die Augen waren geschlossen. Er hob sie auf, sie öffnete nur kurz die Augen, dann erschlaffte sie. War wohl zu viel für sie gewesen. Er legte sie sich über die Schulter, sie war wesentlich kleiner als er, und schleppte sich mit ihr zur Veranda, wo er sie auf die Bank unter dem Verandadach legte. Er legte seine schwarze Lederjacke ab, breitete sie über sie aus, um ihr immerhin ein bisschen Wärme zu spenden, dann öffnete er die Tür, um Hilfe für sie zu holen, die Musik und warme Luft schlugen ihm entgegen, er fing an zu taumeln, ging in die Knie, und sah nur noch eine Gestalt, ein Junge, der auf ihn zukam, seine Augen voller Sorge…
Autor: Cyrill